Prof. Dr. Michael Pohl
Die Bedeutung der Reputation für das Liquiditätsrisiko von Banken
1 Liquiditätsrisiken in Banken
1.1 Liquiditätsrisikodefinition
Das Liquiditätsrisiko lässt sich aus Bankperspektive im Wesentlichen in ein objektbezogenes und ein bankbezogenes Risiko unterteilen. Das objektbezogene Liquiditätsrisiko bezieht sich dabei auf das Risiko, gehaltene Aktiva nicht oder nur unter Hinnahme von Wertabschlägen am Markt liquidieren zu können. Dabei kann unterschieden werden zwischen Primärliquidität (Noten und Zentralbankguthaben), hochliquiden Aktiva (Staatsanleihen und Anleihen mit gutem Rating), Aktiva, welche gegebenenfalls über Umwege wie Verbriefungen liquidiert werden können (unter anderem Hypotheken), sowie Aktiva, die in der Regel nur mit einem zeitlichen Vorlauf liquidiert werden können und deren Wert durch eine Krise der Bank auch negativ beeinflusst werden kann (zum Beispiel Liegenschaften, Beteiligungen).
Neben dem objektbezogenen Liquiditätsrisiko resultiert für eine Bank das Liquiditätsrisiko aus dem Refinanzierungsrisiko, durch welches die Mittelaufnahme am Geld- und Kapitalmarkt nicht oder nur zu schlechten Konditionen möglich ist, und dem Zahlungsmittelbedarfsrisiko, das sich primär aus dem Abrufrisiko von Kundeneinlagen, den vertraglichen Fälligkeiten der Passivseite, dem Neugeschäft der Aktivseite und liquiditätswirksamen Auswirkungen aus der Erfolgsrechnung ergibt.5 Die wesentlichen Bestimmungsursachen sowie die hierarchische Gliederung des objekt- und des bankbezogenen Liquiditätsrisikobegriffs in den entscheidenden Punkten lassen sich dabei in der in Abbildung 1 dargestellten Form zusammenfassen. Dabei ist im Allgemeinen erst dann ein bankbetriebliches Liquiditätsrisiko schlagend geworden, wenn ein unerwarteter Liquiditätsbedarf mit der Unmöglichkeit der Refinanzierung und/oder Veräußerung von Aktivpositionen – also dem objektbezogenen Liquiditätsrisiko – zusammenfiel.
Abbildung 1: Primäre Bestimmungsursachen von objekt- und bankbezogenem Liquiditätsrisiko6
2.3 Messung und Steuerung des Reputationsrisikos
Der Messung des Reputationsrisikos und der damit einhergehenden Erkennung der Reputationsveränderung kommt eine entscheidende Funktion zu. So stimmen Eigen- und Fremdbild oft nicht überein, und eine Bank realisiert eine schlechte oder sich verschlechternde Reputation gegebenenfalls zu spät. Um dem zu begegnen, können Reputationsindizes zum Einsatz kommen, die das Erfüllungsniveau der zuvor thematisierten Reputationsrisikofaktoren in einer Kennzahl verdichten.23 Ebenfalls sind die von der EBA im Rahmen des SREP Erwähnung findenden Indikatoren für Reputationsrisiken, wie die Anzahl der Sanktionen amtlicher Stellen, die laufenden Untersuchungen, Medienkampagnen von Verbraucherverbänden, Kundenbeschwerden, negative Ereignisse bei Vergleichsinstituten, die Reputation des Managements oder auch „Markt-Indikatoren“ zu beachten.24 Als Frühwarnindikatoren können auch Analysen von Stimmungsveränderungen gegenüber der Bank Anwendung finden, die auf den Meldungen auf Social-Media-Plattformen oder einem Medienmonitoring aufbauen. Dabei werden automatisiert Textmeldungen dahin gehend untersucht, ob sie eine positive, negative oder neutrale Stimmung dem Unternehmen gegenüber widerspiegeln.25 Potenzielle Reputationskrisen können damit frühzeitig erkannt werden.
Im Rahmen des Reputationsrisikomanagements kann entsprechend der klassischen Systematisierung der Risikomanagementmaßnahmen26 zwischen der ursachen- und der wirkungsbezogenen Risikobegrenzung unterschieden werden. Die Risikovermeidung als ursachenbezogene Begrenzung ist speziell in der fortlaufenden Sicherstellung einer möglichst positiven Ausprägung der zuvor genannten einzelnen Risikofaktoren zu sehen. Ein hohes Maß an Kundenzufriedenheit beispielsweise dadurch sicherzustellen, dass Kundenbeschwerden systematisiert bearbeitet werden und eine positive Wahrnehmung des Preis-Leistungs-Verhältnisses der erbrachten Dienstleistung entsteht, kann die Eskalationsgeschwindigkeit von Reputationskrisen verlangsamen. Ebenfalls ist prozessseitig sicherzustellen, möglicherweise reputationsschädigende Geschäfte bereits im Voraus zu vermeiden. Im Fall der Deutschen Bank wurde zum Beispiel ein Reputationsrisiko-Rahmenwerk erarbeitet, das potenziell reputationsgefährdende Entscheidungen begleitet, sowie ein „Group Reputational Risk Committee“ installiert, an welches potenziell reputationsgefährdende Sachverhalte eskaliert werden können, die zuvor durch regionale Reputationsrisikokomitees nicht abschließend beurteilt werden konnten. Ebenfalls obliegt es dem Committee, den „Erkenntnisgewinn aus gemachten Erfahrungen“ sicherzustellen.27
Die wirkungsbezogene Begrenzung ist hauptsächlich in der Unternehmens- und Krisenkommunikation zu sehen. Um einer Spirale negativer Reputationsveränderung möglichst frühzeitig entgegenzuwirken, sollte die Unternehmensführung hier insbesondere über eine offene Kommunikation nach innen und außen Vertrauen schaffen und die Strategie zur Lösung der etwaigen Probleme klar darlegen. Vor allem gilt es, auch Krisenkommunikationspläne im Voraus vorzubereiten, die Belegschaft, speziell in Bereichen mit Kundenkontakt, regelmäßig zu schulen und Krisenkommunikationsteams vordefiniert zu haben, die alle relevanten Bereiche der Bank abdecken oder kurzfristig involvieren können. Für die tatsächliche, aber auch die von außen wahrgenommene Qualität der Corporate Governance ist die Zusammensetzung und Effizienz der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats von hoher Bedeutung.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich die Reputationssituation der Finanzindustrie seit der Finanzkrise 2007/2008 wieder verbessert hat. Seit 1997 erstellt beispielsweise Korn Ferry zusammen mit dem Fortune Magazine anhand von neun Kriterien eine Liste der Unternehmen mit der stärksten Reputation. Hierbei bewerten Führungskräfte und Branchenanalyst:innen Unternehmen – vom Investitionswert über die Qualität des Managements und der Produkte bis hin zur sozialen Verantwortung und der Fähigkeit, Talente anzuziehen. Dabei hat es 2024 mit JPMorganChase eine Bank unter die Top 10 geschafft. Mit Goldman Sachs, Morgan Stanley und Bank of America gibt es drei weitere Banken unter den Top 50, was im Vergleich zur Marktkapitalisierung, wo gesamthaft nur drei Banken unter den Top 50 der Welt liegen, leicht überdurchschnittlich ist.28
3 Verknüpfung des Reputations- und Liquiditätsrisikomanagements
Das Liquiditätsrisikomanagement fokussierte sich aus einer Treasury-Perspektive in der Vergangenheit stark auf die Erfüllung der aus internen Risikomodellen und regulatorischen Kennzahlen resultierenden quantitativen Anforderungen und deren Optimierung. So wurde sichergestellt, dass die Bank, wie am Beispiel von LCR und NSFR dargestellt, genügend hochliquide Aktiva besitzt, um Liquiditätsabflüsse decken zu können, oder eine hinreichend stabile Finanzierung aufweist. Das Kundenverhalten wird bei den entsprechenden Szenarien häufig aus vergangenen Krisen abgeleitet und der Risikogehalt dabei beispielsweise über die Kundenkategorisierung in Privat- oder Firmenkunden dargestellt. Die eigentlichen Risikotreiber können mit einem entsprechenden Vorgehen aber in den Hintergrund treten.
Eine dedizierte Auseinandersetzung mit der Reputation der Bank und den Reputationsrisikotreibern kann hier zentral sein. Das Kundenverhalten in Stresssituationen kann sich bei einer Bank mit einem guten Reputationsmanagement, das sich der Einflussmöglichkeiten auf die Kundenwahrnehmung durch eine aktive und zielgerichtete Kommunikationsstrategie bewusst ist, signifikant von jenem bei einer Bank ohne aktives Reputationsrisikomanagement unterscheiden. Abflussparameter sind damit zum Beispiel nicht mehr nur als szenariogegeben, sondern als aktiv durch die Bank beeinflussbar zu betrachten.
Auch regulatorisch wird die Verknüpfung von Reputations- und Liquiditätsrisiken vermehrt beachtet. So fließt entsprechend den Leitlinien der EBA im SREP das Reputationsrisiko bei der Beurteilung der Liquiditätsrisikos explizit in die Beurteilung ein. Auch wird im SREP gefordert, dass Institute Stresstests durchführen, mit deren Hilfe sie die Wirkung des Reputationsrisikos zum Beispiel auf die Liquidität, die Finanzierungskosten oder auch den Zugang zu Korrespondenzbankdienstleistungen bewerten.29

Über den Autor
Prof. Dr. Michael Pohl ist seit 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bankmanagement und Finanzmarktregulierung an der Steinbeis-Hochschule. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Bankenregulierung und der Liquiditätssteuerung in Kreditinstituten. Zudem ist er Mitarbeiter der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht im Bereich Risikomanagement.